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Wir müssen üben, aktiv zuzuhören

von | Jan 24, 2012 | Allgemein

Ihre Arbeit als Trainerin sieht Andrea Eschbach als „Dolmetscher“. Sie möchte es dem Pferd bei allem, was es für sie und mit ihr tun soll, immer möglich machen, wach, entspannt und konzentriert zu bleiben: „Ich achte also bewusst darauf, dass ich den Verständigungsweg nicht störe oder rasch wieder verständliche Informationen liefern kann. Diese sollen immer verpackt sein in Freundlichkeit, Entspanntheit und signalisieren, dass nichts Bedrohliches damit verbunden ist.“

Unachtsamkeit führt zu Unsicherheit und Resignation

Ein absoluter Lernkiller!

Autorin: Lily Merklin für das Schweizer Reitmagazin PASSION

Andrea Eschbach ist vermutlich eine der bekanntesten Horsemanship-Trainerinnen der Schweiz. Sie bildet seit über 20 Jahren Pferde und Reiter aus und leitet mit ihrem Mann Markus einen Ausbildungsbetrieb im Aargau. Lily Merklin hat sich mit ihr für PASSION über gutes Pferdetraining unterhalten.

Obwohl der Begriff „Horsemanship“ bereits etwas abgedroschen ist, findet Andrea ihn trotzdem passend, weil er das enge Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Pferd beschreibt, das Grundlage für gutes Training ist. Wobei Beziehung nicht nur „Wohlfühl-Kuschelzeit“ meint, sondern auch Zeiten zusammen auszuhalten, wo es nicht so viel Spass macht, wo es schwierig wird, in denen man an sich und/oder dem andern zweifelt usw.

Sie plädiert für Ehrlichkeit gegenüber sich selber und dem Pferd.Traurig, verzweifelt, genervt oder resigniert zu sein, ist normal und darf auch seinen Platz haben. Wir sind keine Übermenschen und Pferde merken genau, ob wir versuchen, unsere Gefühle zu unterdrücken oder zu verdrängen. Manchmal hilft es, wenn wir einfach ehrlich und transparent sind. Andrea rät dazu, diese Gefühle durchaus in Worte zu packen: „Ich rede viel mit meinen Pferden und spreche manchmal auch einfach aus, was ich grad denke oder empfinde. Das hilft mir, ruhiger und entspannter zu werden, wenn ich es gerade nicht bin.“

Auch das Pferd soll sich beim Lernen wohlfühlen. Deshalb übt die erfahrene Pferdefrau sehr entspannt in kleinsten Schritten. Sie möchte möglichst wenig Verständigungs- und Verständnislücken haben und die Aufgaben für ihre Schüler so nachvollziehbar machen wie möglich. So kommt sie nur selten in die Verlegenheit, körperliche Kraft anwenden zu müssen. Sie selber hat schon viele Situationen erlebt, in denen der Grössen- und Kraftunterschied zwischen Mensch und Pferd so deutlich wurde, dass es für sie an ein echtes Wunder grenzt, dass es nicht mehr Unfälle gibt.

Andrea Eschbach

Informationslücken führen zu Widerstand

Meistens erlebt sie Pferde aber auch als extrem geduldig, nachsichtig mit uns Menschen und sehr achtsam. Sie scheinen sich ihrer Kraft durchaus bewusst, setzen sie aber nicht gegen uns ein. Allerdings erlebt sie ab und zu auch Pferde, die gelernt haben, ihre körperliche Überlegenheit gegen Menschen einzusetzen. Dahinter steckt ihrer Erfahrung nach immer ein Verlauf: Pferde haben oft keine anderen Erfahrungen gesammelt, wie sie mit einer Situation umgehen sollen, als sich zu entziehen, sich zur Wehr zu setzen und sowohl mental als auch körperlich Widerstand zu leisten. Dann ist es wichtig, dass wir rechtzeitig mitbekommen, dass der Widerstand vom Kopf in den Körper übergeht. Sonst wird es schnell gefährlich. Wenn Andrea merkt, dass ein Pferd typische „Widerstandsmuster“ entwickelt hat, dann versucht sie möglichst schnell herauszufinden, wo Informationslücken sitzen: „Das heisst, ich möchte dem Pferd die fehlende Information geben, die es benötigt, um nicht in Flucht- oder Abwehrmuster zu kommen oder wie daraus heraus zu kommen.“ Dabei behält sie immer im Hinterkopf, dass Pferde nie einfach „zum Spass“ mit Rückzug, Misstrauen, Zögern oder auch Abschalten, Abwehr oder gar Angriff reagieren. Sobald solche Instinkte aktiv werden, wurde eine für das Pferd aktuell problematische Grenze überschritten.

Ihre Arbeit als Trainerin sieht sie als „Dolmetscher“. Sie möchte es dem Pferd bei allem, was es für sie und mit ihr tun soll, immer möglich machen, wach, entspannt und konzentriert zu bleiben: „Ich achte also bewusst darauf, dass ich den Verständigungsweg nicht störe oder rasch wieder verständliche Informationen liefern kann. Diese sollen immer verpackt sein in Freundlichkeit, Entspanntheit und signalisieren, dass nichts Bedrohliches damit verbunden ist.“

Dabei kommt es natürlich auch zu Situationen, in denen wir Informationen auch mal mit mehr Kraft anbringen müssen. Wir können unseren Pferden auch mal energisch die Meinung sagen. Und wir müssen uns mit allen Mitteln schützen, wenn eine Situation eskaliert. Ein Fragezeichen setzt sie aber, wenn der Mensch immer oder immer häufiger Kraft einsetzen muss, um dem Pferd eine Botschaft verständlich zu machen. Dann stimmt etwas Grundsätzlich nicht.

Die zwei sind unterschiedlicher Meinung

Beobachten will gelernt sein

Damit es gar nicht erst so weit kommt, müssen wir lernen, genau hinzuschauen und hinzuhören. Wir wollen, dass unser Pferd stets aufmerksam ist, sind aber selber nicht mit voller Konzentration bei der Sache, was für ein Pferd extrem demotivierend sein muss.

Andrea beschreibt eine typische Situation: „Ich erlebe sehr oft, dass man dem Pferd zwar eine Frage stellt oder es auffordert, etwas zu tun, aber seine Antwort nicht abwartet. Oft erlischt 1-2 Sekunden nach der Aufforderung unsere Bereitschaft, zuzuhören, und das muss sich für das Pferd anfühlen, also ob wir ihm eine Tür vor der Nase zuschlagen.“ Ziel ist natürlich, dass unser Pferd auf eine Aufforderung möglichst prompt reagiert. Trotzdem müssen wir seine Antwort abwarten, damit es bei der Sache bleibt. Warum sollte es sonst unsere Wünsche verstehen und erfüllen wollen? Stattdessen führt unsere Unachtsamkeit zu Unsicherheit und Resignation. Ein absoluter Lernkiller!

Die Fähigkeit zuzuhören müssen wir aktiv üben, indem wir nicht müde werden, Pferde bei jeder Gelegenheit mit allen Sinnen zu beobachten.

  • Wie verhalten sie sich untereinander?
  • Was sind ihre Eigenarten und individuellen Gewohnheiten?
  • Wie drücken sie sich in Alltagssituationen aus?
  • Was kann ich ablesen, wenn ich sie im Training und in Bewegung sehe, am Boden und im Sattel?

Daraus können wir ein Gespür dafür entwickeln, wie sie selber Fragen und Antworten managen, und uns davon was abschauen.

Entspannung und Vertrauen

Geduld: ein Schlüssel zum Erfolg

Auch in anderer Hinsicht können wir uns von unseren vierbeinigen Lehrmeistern etwas abschauen: Geduld.

Geduld ist für Andrea ein tragendes Element im Pferdetraining: „Wer keine Geduld hat, sollte es lassen. Das mag arrogant klingen, aber Geduld muss man zwingend lernen, wenn man nachhaltige Ergebnisse mit Pferden erzielen möchte.“

Andrea geht prinzipiell davon aus, dass jeder ihrer Schüler sich so viel Mühe gibt, wie er gerade kann. Wenn er ihre Anweisungen nicht so ausführt, wie sie das gerne hätte, versucht sie zurück zu blenden und die Situation mit seinen Augen zu sehen. Sie stellt sich vor, wie es ihr in dieser Situation gehen würde. Dann versucht sie, ihrem Schüler nochmal anders zu erklären, was sie gerne möchte. Sie lobt bereits kleinste Schritte und freut sich mit echter Begeisterung über kleinste Erfolge. Es ist ihr sehr wichtig, dass sie ihren Pferdeschülern möglichst immer erklären kann, warum sie etwas tun sollen. „Und manchmal muss man einfach eine einzige Sekunde länger Geduld haben. Das ist oft der Schlüssel zum Erfolg,“ verrät sie ihre Durchhalteparole.

Wenig Geduld hat sie hingegen bei abgedroschenen Phrasen wie „Das hat man immer schon so gemacht!“ oder „Der will nur nicht!“ oder „Den musst du nur richtig anpacken!“ Da kann sich die sonst so geduldige Person regelrecht in Rage reden: „Wer solche Sätze nur nachplappert, hat sein Gehirn einfach nicht eingeschaltet. Dahinter steht lähmende Trägheit. Selber denken ist anstrengend und darum gewöhnen sich viele Menschen daran, lieber weniger nachzudenken oder zu hinterfragen. Sie treiben im Strom bequemer Klischees. Wir sind unbewusst zu schnell bereit, in eine üble Mentalität der Unterstellung zu geraten. Wir unterstellen in diesem Fall dem Pferd mangelnden Einsatz oder absichtlich nicht zu kooperieren, uns „sicher nur nerven“ zu wollen.“ Diese Haltung unterstellt den Pferden unsere menschliche Wahrnehmung. Sobald wir sie aber mit menschlichen Massstäben messen, haben die Pferde ein Problem.

Wir müssen versuchen, unsere Welt mit ihren Augen zu sehen. Dann können wir besser verstehen, warum die Pferde vielleicht nicht kooperieren können. Wir sind nicht immer „schuld“, aber wir müssen Pferde als Pferde sehen und was das bedeutet, ist nicht immer so leicht zu verstehen und auch umzusetzen.

Mit kleinen Schritten zum Ziel

Nach dem Rezept für gutes Training gefragt, meint Andrea lachend, dass sie sich auch manchmal ein „Kochrezept“ wünschte, und nennt dann eine Reihe von Zutaten, die unabhängig vom jeweiligen Reitstiel sind: „Man nehme freudige Erwartung, was kommen könnte. Die Überzeugung, dass sich der Schüler so gut bemüht, wie es gerade geht. Dazu gebe man die entspannte Bereitschaft, soviel Zeit zu investieren, wie es halt braucht. Geduld füge man besonders reichlich hinzu, wenn der vierbeinige Schüler sehr kleinschrittig lernt. Die Fähigkeit, sich über kleinste Erfolge und Fortschritte zu freuen, gibt unserem Rezept die entscheidende Würze. Erfahrung, wie klein oder gross die Lernschritte sein können, und das Berücksichtigen der Individualität des Schülers runden das Gelingen des Rezeptes ab. Daraus ergibt sich, auf welche Weise vielleicht etwas mit Zielanpassung, Abwechslung, Konsequenz oder noch mehr Zeit nachgewürzt und verfeinert werden kann.“

Aufmerksames Lernen

Lebenslanges Lernen

Wenn man guten Pferdemenschen zuschaut, sieht Training meistens leicht aus. Aber wie kommt man dort hin. Kann man das lernen? Oder gibt es einfach Menschen, die über eine sagenhafte Intuition verfügen? Natürlich gibt es Menschen, die von Natur aus ein gutes Gespür fürs Pferd haben. Aber auch sie müssen lernen und üben.

„Ein musikalisches Wunderkind übt meist noch intensiver als solche, die ein Klavier knapp von einer Trompete unterscheiden können,“ so Andreas anschaulicher Vergleich, der gleichzeitig ein Plädoyer für lebenslanges Lernen beinhaltet. Pferde sind anders und wir sollten nicht aufhören, uns weiterzubilden und uns Wissen und Fähigkeiten anzueignen. Das ist immer mit einem gewissen Aufwand verbunden. Sein Pferd echt zu lieben zeigt sich für sie auch darin, sich dauernd selber verbessern zu wollen. Nicht umsonst heisst es ja: „Gewalt beginnt, wo Wissen endet.“

Sich selber verändern, Neues zu lernen und aus Gewohnheitsmustern herauszukommen, ist anstrengend, aber es kommt letztlich unserem Pferd zugute. Wissen zu haben reicht aber nicht. Allerdings ist Wissen nur ein Werkzeug, das erst mit Intuition und Gefühl ins Leben umgesetzt wird. Ein Gefühl fürs Pferd und auch fürs Individuum entwickelt sich meist erst durch Erfahrung. Und Erfahrung wächst meist erst durch Zeit…

Für alle, die beim Stichwort lebenslanges Lernen verzweifeln wollen, hat die geduldige Lehrerin einen wertvollen Tipp: „Je kleiner die Lernschritte sind, desto eher erreicht man sein Lernziel. Das braucht wieder einmal – Zeit und Geduld. Abkürzungen rächen sich meist und davon profitiert das Pferd nicht. Die Freude an kleinsten Erfolgen beflügelt mich und gibt mir Motivation, weiter zu machen. Es ist beinahe eine Erfolgsgarantie.“

Die Sache mit dem Timing

Um ihren Schülern das richtige Timing näher zu bringen, setzt Andrea wieder zuerst beim Wissen an. Erst wenn der Anfänger die Situation und ihre Bedeutung versteht und ihre Wirkung auch durch die Augen des Pferdes betrachten kann, versteht er, warum ein bestimmtes Manöver nicht funktioniert hat. Sie hat dabei beobachtet, dass es oft drei Anläufe braucht: „Beim ersten Mal ist der Schüler zu spät, dann sprechen wir es zusammen durch. Beim zweiten Versuch ist das Timing, im Bemühen, es besser zu machen, meist zu früh. Und beim dritten Mal stimmt es oft schon recht gut.“


Zur Person

Andrea Eschbach ist seit über 20 Jahren Pferdetrainerin und Reitlehrerin. Sie ist Physiotherapeutin und zertifizierte Dualaktivierung-und Equikinetic-Trainerin nach Michael Geitner. Zusammen mit ihrem Mann Markus hat sie sechs Bücher und eine DVD veröffentlicht. Auf ihrem Hof im Aargau bieten sie diverse Kurse und Ausbildungen an. Weitere Infos unter www.eschbach-horsemanship.com

Ihr neustes Buch:

Der kleine Erziehungsratgeber

 

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Beatrice Hohl

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