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Pferde reiten - ganz oder gar nicht

Dürfen wir Pferde reiten?

Es ist eine ethische Diskussion von gewaltigem Ausmass. Tierschützer wollen immer mal wieder das Nutzen von Tieren ganz generell verbieten, auch das Reiten von Pferden. Strikte Tierfreunde sehen das Reiten als Ausnutzen von Tieren, manchmal sogar deren Einsperren, selbst auf mehreren Hektar Weideland.

Die Gegenseite, die vom Einsatz von Pferden lebt, sieht das genau umgekehrt. Seit Jahrtausenden wird das Pferd genutzt, und gegenüber früheren Zeiten sind die Pferde regelrecht verwöhnt. Top Futter, teure Ausrüstung, saubere Ställe, sinnvolles Training, medizinische Versorgung. Für die wenigen Stunden, die sie wöchentlich arbeiten müssen, haben sie mehr als genug freie Zeit zur Entspannung und zum Ausgleich.

Gestern bin ich – einmal mehr – über die Frage gestossen, ob wir Pferde reiten dürfen. Ich hatte eine tolle Hufpflegerin für mein neu gekauftes Pferd da, um die Eisen abzunehmen und sie auf barhuf umzustellen. Wir sprachen darüber, was wir Menschen den Pferden so alles antun – sowohl mit schlechten Beschlägen, als auch ganz allgemein.

Da meinte sie lächelnd und ganz beiläufig:

"Eigentlich dürften wir sie ja gar nicht reiten"

und stiess mich einmal mehr auf die ganz allgemeine Frage, was wir denn dürfen, und was nicht.

Mit dem Pferd an der Hand unterwegs

Ich weiss haargenau, was für mich NICHT in Frage kommt (so Unterschiedliches wie Ausbinder, Verprügeln, Boxenhaltung, ausbeuterischer Pferdesport, unpassende Ausrüstung, Reiten ohne Weiterbildung, etc.) .

Und ich weiss ganz genau, was ich klar unbedenklich finde (Pferde in Kleingruppen halten, mit ihm auf dem Platz und in der Halle spielen und toben, es mal für ein Fotoshooting nutzen, etc.). Die Schwarz und Weiss Bereiche sind für mich klar.

Doch was ist mit all den Grautönen dazwischen? Ist es entwürdigend, ein Pferd zu verkleiden? Ist ein Klaps auf die Hinterhand gerechtfertigt, wenn es sich beim Hufe machen gegen mich lehnt? Darf ich die Stimme erheben und "Hey!" rufen, wenn es am Putzplatz wieder mit der Putzkiste spielt? Darf ich negative Verstärkung in der Ausbildung nutzen? Und nicht zuletzt: Darf ich es denn reiten?

Grundsätzlich ist das eine ethische Frage, die schlussendlich jeder von uns innerhalb der geltenden Gesetze selber beantworten muss. Für den einen sind die Grenzen höher, für andere tiefer am richtigen Ort.

Für mich selber hab ich ein paar Entscheidungen getroffen, die ich begründen, und mit denen ich mich wohl fühlen kann. Heute hab ich damit ein gutes Gewissen, kann dahinter stehen. Wie alle ethischen Grundsätze, können sich diese aber ändern. Ich fühle, dass ich je länger je "softer" werde – mal sehen, wohin mich mein Weg noch führt.

Die demütige Haltung

Die Nähe des Pferdes geniessen

Was ich mehr und mehr über alles stellen möchte, ist eine demütige, dankbare Grundhaltung. Dazu gehört, sich über alle kleinen Dinge zu freuen, die das Pferd für mich macht, und mich nicht in Dingen zu verbeissen, die heute NICHT klappen. Und mir bewusst zu sein, dass ich vom Pferd Dinge verlange, die für ein Pferd keinen Sinn machen und auch sein Wohlbefinden nicht steigern.

Und dass ich nie aufhören will, auf die Pferde zu hören, wenn sie ihre Meinung sagen, und mit irgendetwas körperlich oder seelisch nicht klar kommen. Dass ich mir bewusst bin, dass ich auch einen Preis für ihre Kooperation zu bezahlen hab. Ich hab mich permanent zu informieren, mein Bestes zu geben, ihnen ein angenehmes und artgerechtes Leben zu ermöglichen und sie als Individuen mit Stärken und Schwächen zu sehen und akzeptieren.

Der Kompromiss des Mittelweges

Der Mittelweg und der Kompromiss sind dem Klischee nach bei uns Schweizern nach wie vor hoch im Kurs. Manchmal hindert er zwar die Innovation und den Fortschritt, aber er vermeidet auch Extreme und deren Auswüchse.

Ich war noch nie ein Freund von Extremen. In den wenigsten Fragen bin ich uneingeschränkt für oder gegen etwas, und so will ich es auch beim Pferd halten. Ich will weder das Pferd vermenschlichen, es in Watte packen oder gleich in die Freiheit entlassen. Doch ich will ihm auch nicht eine Last sein, will guten Gewissens sagen können, dass für mich auch ein Rollentausch ok wäre, zB in einem nächsten Leben.

Die Erziehung und Ausbildung

Hier habe ich für mich entschieden, dass ich das für jedes Pferd einzeln entscheiden muss. Dass ich fühlen muss, bei welchem Pferd ein lautes Wort fast bedeutungslos abprallen würde, und welches Pferd mich völlig überfordert aus aufgerissenen Augen anschauen würde. Und bei welchem dieses laute Wort genau das ist, woraus es etwas lernen kann, ohne zu leiden.

Dasselbe Prinzip gilt beim Erarbeiten von Verhalten oder Lektionen: Ich bin nicht der Meinung, dass nur negative oder nur positive Verstärkung für das Pferd angenehm sind. Angenehm ist für das Pferd, was es versteht und konstant ist. Lieber einen Klaps, wenn es sich beim Hufe geben gegen mich lehnt, als dieses Verhalten einmal zu ignorieren und dann wieder zu strafen. Und mich dankbar freuen, wenn es dann klappt und man das Pferd ausgiebig loben kann.

Das Reiten

Reiten mit Handpferd

Ja, ich bin zu schwer für mein Pferd. Und ja, ich reite mittelmässig. Und ja, ich fühl mich trotzdem wohl dabei, mein Pferd zu reiten.

Mag seltsam klingen, ist aber so – und das sag ich guten Gewissens. Weil ich mich an meine Grundsätze halte. Ich habe für mich entschieden, dass es auch beim Reiten nicht nur ein Ja oder Nein, ein Ganz oder Garnicht gibt. Es gibt auch ein Wenig. Ich hab beschlossen, dass es ok ist, 2x die Woche aufs Pferd zu steigen, wenn ich in der restlichen Zeit ohne Reitergewicht durch sinnvolle Bodenarbeit dafür sorge, dass meine Pferde mich dafür unbeschadet tragen können.

Auch wenn ich kein top Reiter oder etwas zu gross oder schwer für mein Pferd bin, so kann ich es reiten. Ich muss bloss auch hier einen Ausgleich finden und aufmerksam genug sein um zu erkennen, wenn es mal zu viel ist. Denn auch hierbei macht die Menge das Gift. Somit hab ich auch hier einen Mittelweg gefunden, der für mich guten Gewissens gangbar ist.

Der Umgang mit anderen Menschen und deren Grenzen

Für mich sind beide Extreme sehr unangenehm. Einerseits natürlich jene Menschen, die mit ihren Pferden in meinen Augen ungerecht umgehen, ihnen Schaden oder Schmerz zufügen. Ich versuche noch immer, für mich herauszufinden, wann ich das einfach als deren Meinung und Einstellung tolerieren muss, und wann ich mich im Sinne der Pferde äussern soll. Hier suche ich noch immer meine eigenen Prinzipien.

Aber auch die andere Seite, mit sehr viel höheren Grenzen, ist für mich befremdlich. Da muss ich versuchen, deren Ansichten nicht als Vorwurf an mich zu sehen. Zu akzeptieren, dass ich das Pferd in ihren Augen nicht fair oder sanft genug behandle. Und dass sie im Grunde auch nur nach einem Weg suchen, der für IHRE Werte stimmt.

Was in Worten so einfach geschrieben ist, ist in Taten längst nicht so einfach umgesetzt. Ich hoffe, dass ich noch viele Pferde treffen darf, mit denen ich gemeinsam üben kann, meinen Werten und Prinzipien treu und gerecht zu bleiben. Und dass mir die Pferde auch verzeihen, wenn ich es mal nicht bin. ;)

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