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Hengsthaltung

von | Okt 21, 2016 | Pferdehaltung, PASSION | 0 Kommentare

Während ihres Zoologiestudiums an der Uni Zürich hat Karin Rutishauser halbwildlebende Camarguepferde beobachtet und dabei das natürliche Hengstverhalten kennengelernt. Im Winterquartier des Zirkus Knie, im Ausbildungsstall von Horst Becker in der Lüneburger Heide und auf ihrem eigenen Betrieb, wo sie eine gemischtaltrige Hengstfohlengruppe und erwachsene Hengste hält, hat sie verschiedene Formen der Hengsthaltung vergleichen können.

Die Haltung erwachsener Hengste

Autorin: Therese Misar – Das Interview mit Karin Rutishauser vom Gestüt Berg ist in der Spezialausgabe der PASSION im Winter 2014 erstveröffentlicht worden.

Karin Rutishauser hat während ihres Zoologiestudiums an der Uni Zürich halbwildlebende Camarguepferde in der Camargue beobachtet und dabei das natürliche Hengstverhalten kennengelernt. Im Winterquartier des Zirkus Knie, im Ausbildungsstall von Horst Becker in der Lüneburger Heide und auf ihrem eigenen Betrieb, wo sie eine gemischtaltrige Hengstfohlengruppe und erwachsene Hengste hält, hat sie verschiedene Formen der Hengsthaltung vergleichen können.

Was ist bei der Haltung erwachsener Hengste zu beachten?

Karin Rutishauser: Um die Bedürfnisse und das Verhalten der Hengste zu verstehen und ihnen in der Haltung und Beschäftigung gerecht zu werden, braucht es den Blick in die freie Wildbahn. Das Fluchttier Pferd hat das Bedürfnis, seine Umgebung stets sehen, hören und riechen zu können. So kann es allfällige Gefahren früzeitig erkennen und rechtzeitig fliegen. Der Hengst als Aufpasser und Beschützter benötigt umso mehr den Überblick über seine Herde. So kann er seine Stuten bei Gefahr wegtreiben oder einen anderen Hengst verjagen. Erwachsene Hengste, die eine Stutgengruppe besitzen, dulden in der Regel keine anderen erwachsenen Hengste in ihrer Nähe. Sie sind Konkurrenten und können ihm die Stuten streitig machen. Zunächst schüchtern sich die Hengste mit Imponiergehabe ein. Wenn dies nichts nützt, kämpfen sie. Dabei können sie sich gegenseitig schwer verletzen oder sogar töten.

Hengste, die keine Stuten besitzen, leben in der Natur oft alleine und selten mit einem anderen Hengst zusammen. Junghengste wachsen in kleinen “Junggesellengruppen” auf. Mit etwa drei Jahren suchen sie sich Stuten, um eine eigene Herde zu bilden und sich fortzupflanzen. Diese Verhaltensweisen habe die domestizierten Pferde nicht verloren. Wer Hengste halten möchte, muss sich dies stets bewusst sein, um Stress für den Hengst und Unfälle zu vermeiden. 

Junghengste kämpfen im Spiel

Zwei Junghengste kämpfen im Spiel. Bald sind sie Konkurrenten und kämpfen ernsthaft um Stuten.

Für Hengste ist folglich der Sicht-, Hör- und Riechkontakt zu ihrer Umgebung und anderen Pferden sehr wichtig. Sie möchten immer den Überblick haben und dürfen nichts verpassen! Nichts ist schlimmer für einen Hengst, als wenn er abgeschottet wird.

Hengste können auch sehr empfindlich auf Veränderungen wie Ortswechsel oder neue Pferde im Stall reagieren. Beides kann Gefahr durch einen Konkurrenten bedeuten und Imponiergehabe, Agrressionen oder Angst auslösen! Bei neuen Stuten im Umfeld kann es die Möglichkeit bedeuten, seine Herde zu vergrössern und zu decken. Oft sind unerfahrene Junghengste mit einem Ortswechsel total überfordert und reagieren aggressiv oder panisch.

In der Natur sind Hengste viel in Bewegung, um Ihre Umgebung zu kontrollieren. Sie müssen körperlich fit sein, um einen Kampf gegen einen Rivalen gewinnen zu können. Schon die Hengstfohlen üben mit Kampfspielen für das spätere Leben. Deshalb benötigen Hengste viel freie Bewegung auf genügend grossen Weiden und viel Beschäftigung. Dies trägt massgebend zur Ausgeglichenheit und Zufriedenheit eines Hengstes bei. 

Können erwachsene Hengste in  Gruppenhaltung leben?

Die natürlichste Haltung für einen Hengst ist das Leben in einer Stutengruppe als Deckhengst. Dies ist aber für die meisten Hengste und ihre Halter nicht möglich.

Hengsthaltung

Reine Hengstgruppen oder gemischte Gruppen mit Wallachen sind bei erwachsenen Hengsten sehr problematisch. Sind Stuten in der Nähe, wird der Kumpel zum Konkurrent. In unserer gemischtaltrigen Hengstfohlengruppe können wir immer wieder beobachten, wie die Junghengste mit ungefähr drei Jahren anfangen, die anderen Fohlen zu treiben, also herumzujagen. In der Natur würden sie jetzt versuchen, Stuten zu erobern und ihre eigene Herde zu bilden. Da es keine Stuten hat, beanspruchen sie einen Teil der Fohlen für sich, die anderen, oft gleichaltrige Konkurrenten, möchten sie verjagen. Die Hengstfohlenspiele werden immer heftiger und ernster. Es ist der Moment gekommen, sie aus der Gruppe zu nehmen um Stress und Verletzungen zu vermeiden.

Es mag Betriebe geben, auf welchen die Gruppenhaltung für erwachsene Hengste funktioniert. Dann sollten weit und breit keine Stuten leben und die Weiden sehr gross sein. Wenn nämlich erwachsene Hengste ernsthaft aufeinander losgehen oder ein Hengst einen Wallach verjagen möchte, benötigt der Unterlegene viel Platz, um flüchten zu können.

Welche Haltungsformen empfehlen Sie?

Hengste leben, wie alle anderen Pferde, die nicht in der Gruppe gehalten werden, gerne in Paddockboxen, wo sie die anderen Pferde und ihre Umgebung stets beobachten können. Da Hengste einen starken Sexualtrieb haben, sollte man sie nicht direkt neben Stuten stellen. Solange keine Stuten in Riechnähe sind, können Hengste friedlich nebeneinander leben. Dies kann man eindrücklich beim Zirkus Knie erleben.

Wenn Stuten in der Nähe sind, werden Hengste zu Konkurrenten. Auch wenn sie in einem anderen Stall untergebracht sind als die Stuten, zeigen sie zum Teil starkes Imponierverhalten und können sehr aggressiv gegen den Hengst in der Nachbarbox agieren. Andere Hengste haben Angst, weil sie vor dem überlegenen Widersacher nicht fliehen können. Einen friedlichen Wallach zwischen zwei Hengste zu stellen, kann die Situation entschärfen. Am stressfreisten für einen Hengst in einer Umgebung mit Stuten ist es nach meiner Erfahrung, wenn keine anderen erwachsenen Hengste in der Nähe sind und er einen ruhigen Wallach als Nachbarn hat.

«Wer einen Hengst halten  möchte, muss sich immer seines natürlichen Verhaltens bewusst sein.»

Was muss man beim Stallbau für  Hengste besonders beachten?

Wichtig ist, dass alles im Stall robuster und stabiler sein muss als bei Wallachen oder Stuten. Die Holzbretter sollten dicker, doppelt verschraubt, die Metallkonstruktionen massiver und höher sein als gewohnt. Die Gitterstäbe zwischen den einzelnen Boxen sollten so eng stehen, dass beim Steigen gegeneinander nicht die Gefahr besteht, zwischen den Stäben hängen zu bleiben.

Beim Imponieren gegen den Nachbarn kann es auch vorkommen, dass sich Hengste mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Boxenwände werfen. Ich habe erlebt, wie sich stabile Boxenwände und Gitter unter dieser Wucht bedrohlich bogen. Normale Boxenwände hätten nicht standgehalten! Wenn zwischen den Boxen nur eine Bretterwand steht, sollte diese so hoch sein, dass ein Hengst beim Steigen nicht mit den Vorderbeinen einhängen kann.

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Auch wenn ein Hengst meist sehr ruhig und «unhengstig» ist, muss man immer mit Eskalationen rechnen. Bei Pferde- oder Ortswechsel sollte man die Möglichkeit haben, den Hengst in einer sicheren Box unterzubringen, wo er sich nicht verletzen oder ausbrechen kann und trotzdem die anderen Pferde sieht, bis die Aufregung vorüber ist. Auch Paddocks und Weiden sollten stabil und mit elektrischen Bändern ergänzt, eingezäunt sein. Ich ziehe dünne E-Bänder den dicken vor, da sie schnell reissen und deshalb die Pferde nicht verletzen, wenn sie hineintreten.

Boxengespräch

Eine Bretterwand kann allenfalls bei Hengsten funktionieren, die sich gut verstehen und wenn keine Stuten in der Nähe sind.

Sind alle Hengste gleich, oder gibt es unterschiedliche Rassemerkmale?

Für die mir näher vertrauten Rassen wie die iberischen Pferde, die Araber und die Warmblüter erscheinen mir die individuellen Unterschiede grösser als die rassespezifischen.

Warum gelten Hengste als schwierig?

Hengste sind sehr emotional und reagieren sensibel auf ihre Umgebung. Sie können sehr schnell und heftig agieren. Dies erfordert im Umgang grosse Konzentration, Voraussicht und Verständnis.

 

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