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Wer einmal Bilder von Pferden sah, die mit einem Halfter irgendwo hängen blieben, sich selbst strangulierten oder schwer verletzten, vergisst diese Bilder nicht mehr. Trotzdem wird vielerorts verlangt, dass Pferde mit Halfter auf der Koppel stehen müssen, oft mit der Begründung, die Versicherung verlange das so. – Der Vierpfotenmakler bringt die Fakten auf den Tisch.
Autor: Dennis Keller, aka Vierpfotenmakler
Ja, richtig gehört! Auf der Koppel müssen die Pferde ihre Halfter aufbehalten, sonst zahlt die Versicherung nicht!
Also…. so sagen es viele Stallbetreiber (SB) zumindest. Und die müssen es ja wissen, oder?
Vorab: Natürlich ist eine solche Aussage völliger Unfug. Es stellt sich ja zu allererst einmal die Frage, welche Versicherung denn nun gemeint ist. Denn „die Versicherung“ gibt es ja nicht, man muss das schon ein wenig spezifizieren. Folgen wir einfach mal der Logik und unterstellen, dass es sich um die Haftpflichtversicherung des Stallbetreibers handelt, genauer: die Betriebshaftpflicht, noch genauer: um die Unterposition der „Hüterhaftpflicht“.
Genug der Haarspalterei und zur Sache: Wer einmal Bilder von Pferden sah, die mit einem Halfter irgendwo hängen blieben, sich selbst strangulierten und / oder schwer verletzten, vergisst diese Bilder nicht mehr. Bei Dir wird aber der gleiche Unfug erzählt und Eure Pferde müssen mit Halfter auf der Koppel stehen, obwohl das Halfter eine lebensbedrohliche Gefahr darstellt? Dann liefere ich Dir hier einmal Munition fürs nächste Wortgefecht – und Deinem Stallbetreiber kostenlose Nachhilfe, weil es sein eigener Versicherungsmensch (oder der SB selbst) nicht gebacken bekommt.
Foto: Die lustige Schute zieht für uns: Herr Geysir frá Kópavogi. Vielen Dank für die Genehmigung zur Verwendung an Adda-Marie!
Woher kommt also der Unfug, dass Pferde mit Halfter auf der Koppel zu halten seien?
Man kann hier nur spekulieren. Ich versuche daher alle möglichen Felder aufzugreifen und fachlich fundiert abzuarbeiten.
Da ist sie wieder: „Die Versicherung“. Okay, okay – das mit der groben Fahrlässigkeit stimmt. Versicherungen können die Leistung teilweise oder komplett verweigern, wenn ein Schaden grob fahrlässig verursacht wird. Alle Versicherungen? Neeeiiin, in einem kleinen Dorf namens Haftpflichthausen ticken die Uhren anders!
Ja, es gibt den bösen § 81 VVG. Darin steht das oben Gesagte: Grobe Fahrlässigkeit = ganz blöd = der Versicherer kann die Leistung kürzen / verweigern.
Aber: Dieser Paragraph bezieht sich auf Schadenversicherungen. Eine Haftpflichtversicherung ist aber gar keine Schaden- sondern eben eine Haftpflichtversicherung. Wir sind hier also im falschen Kapitel unterwegs!
Richtig sind wir beim § 103 VVG. Wer dort nachliest, findet schnell heraus: hier steht ja plötzlich nichts mehr vom grober Fahrlässigkeit! Ja sieh mal einer an!
Wer jetzt mal fix den beiden Links folgt, der kann meine Worte auch sofort nachvollziehen, denn über den Paragraphen bzw. deren Wortlaut steht oben die Gliederung. Während sich § 81 VVG noch im allgemeinen Teil befindet, sind wir bei § 103 schon in einem der speziellen Unterkapitel, in denen die spartenspezifischen Verfeinerungen vorgenommen werden.
Fazit: Nein, daran kann es nicht liegen – grob fahrlässiges Handeln ist mitversichert!
Wenn Deinem SB „das so gesagt wurde“, dann soll sich das doch bitte mal schriftlich geben lassen. Spoiler: das wird er so nicht bekommen. Wenn doch: bitte eine Mail an mich ( dennis add vierpfotenmakler.de). Sobald ich einen Besen gefressen habe, werde ich mich kostenlos für den betroffenen SB darum kümmern. Versprochen!
Neeeiiin, tut et nich. Erzähl mir keinen vom Pferd.
Faktencheck:
Was ist in einer jeden Haftpflichtversicherung ausgeschlossen? Richtig: alles, was unter § 7 der AHB steht. Die Überschrift „Ausschlüsse“ lässt auch ziemlich fix darauf schließen. Hinweis: Die AHB sind die „allgemeinen Haftpflichtbedingungen“. Allgemein = gilt für alle = auch für SB. Jeder, der eine Haftpflichtversicherung besitzt, findet in seinem Ordner die AHB, sofern er sie nicht zum Grillanzünden benutzt hat. Demnach finden sich bei jedem Einzelnen unter § 7 die Ausschlüsse.
Steht da was von Halftern? Nein. Es steht da ja auch nichts von heißen 5-Minuten-Terrinen.
Das Einzige, wo man eine Vermutung anstellen könnte, wäre der Hinweis auf behördliche Auflagen, bei denen ein Versicherer zickt. Sind Halfter auf der Koppel behördlich vorgeschrieben? Nein, sind sie nicht. Thema erledigt.
Okay, okay – eine Möglichkeit haben wir noch: die Obliegenheitsverletzungen. Obliegenheit = mir „obliegt etwas“ = ich habe die (vertragliche) Pflicht, bestimmte Dinge zu tun / zu unterlassen.
Solche Obliegenheiten finden wir auch in den AHB. Es gibt drei Arten von Obliegenheiten, die einzuhalten sind:
Also der Reihe nach:
Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat und die für den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen.
Fragen Versicherer im Antrag, ob die Pferde auch immer schön artig mit Halfter auf der Koppel stehen? Antwort: NEIN, tun sie nicht. Thema erledigt.
Besonders gefahrdrohende Umstände hat der Versicherungsnehmer auf Verlangen des Versicherers innerhalb angemessener Frist zu beseitigen. Dies gilt nicht, soweit die Beseitigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Ein Umstand, der zu einem Schaden geführt hat, gilt ohne weiteres als besonders gefahrdrohend.
Auch hier gilt: Wurde im Antrag nach den Halftern gefragt? Nein? Dann ist dies auch zu keinem späteren Zeitpunkt relevant.
Zum letzten Satz: Jetzt bitte mal das Hirn einschalten und scharf mitdenken: Kann das Fehlen eines Halfters einen Schaden auslösen?
Lösung: Nein, kann es nicht. Wenn, dann haut ein Pferd von der Koppel ab. Dies macht es mit oder ohne Halfter. Sein außerplanmäßiges Verlassen der Spielwiese wird in keiner Weise von der Anwesenheit / Nichtanwesenheit eines Halfters beeinflusst. Primärer Auslöser aller möglichen Schäden ist aber ganz alleine das Ausbrechen des Pferdes aus der Koppel. Das man ein Pferd mit Halfter leichter wieder einfangen könne, spielt hier keine Rolle.
Mit der gleichen Logik kann man auch alle andere Schadenszenarien überprüfen, hier ein paar Beispiele:
Die Antworten lauten alle: Nein. Es besteht keinerlei Kausalität. Also: Thema erledigt.
25.1 Jeder Versicherungsfall ist, auch wenn noch keine Schadensersatzansprüche erhoben worden sind, dem Versicherer innerhalb einer Woche anzuzeigen. (…)
Hat nichts mit der Sache zu tun.
25.2 Der Versicherungsnehmer muss nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens sorgen. (…)
Hat nichts mit der Sache zu tun.
25.3 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein staatsanwaltschaftliches, behördliches oder gerichtliches Verfahren eingeleitet, (…)
Hat nichts mit der Sache zu tun.
25.4 Gegen einen Mahnbescheid oder eine Verfügung von Verwaltungsbehörden auf Schadensersatz muss der Versicherungsnehmer fristgemäß Widerspruch (…) einlegen. (…)
Hat nichts mit der Sache zu tun.
25.5 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftpflichtanspruch gerichtlich geltend gemacht, (…)
Hat nichts mit der Sache zu tun.
Thema erledigt.
Okay. Der SB hat also eine einzelvertragliche Sondervereinbarung mit dem Versicherer. Ja sicher doch.
In dem Fall gilt: Bitte einmal zum Ordner gehen, die Vereinbarung raus holen und vorlegen. Spoiler: Wann auch immer Du danach fragst, diese Vereinbarung wird „rein zufällig“ nicht auffindbar sein. Hat bestimmt der Hund gefressen. Aber gestern, da hat man sie noch gesehen, ganz sicher! Ja ja…
Thema erledigt.
Einwand Nr. 1.: Grobe Fahrlässigkeit: kann man abhaken, da im Bereich der Haftpflichtversicherung irrelevant.
Einwand Nr. 2.: Was einem (angeblich) „so gesagt wurde“ ist Schall und Rauch. Es zählt nur das, was geschrieben steht, (angebliche) mündliche Aussagen sind irrelevant.
Einwand Nr. 3.: Es wird in keinem Antrag nach Halftern gefragt, also ist es irrelevant.
Einwand Nr. 4.: Was im Antrag nicht abgefragt wird, ist auch später irrelevant.
Einwand Nr. 5.: Auch in den Obliegenheiten nach Eintritt eines Schadenfalles findet sich nichts, aber auch rein gar nichts, was auf eine solche Pflicht hindeuten könnte. Kurz: Irrelevant.
Einwand Nr. 6.: Es handelt sich um eine einzelvertragliche / individuelle Vereinbarung. Jup, und ich bin der Kaiser von China. Kurz: theoretisch möglich, praktisch undenkbar, da dem Sinn der Versicherung konträr gegenüberstehend.
Solche Aussagen sind absoluter Unfug. Pferde müssen nicht mit ihrem Halfter auf der Koppel stehen und es gehört auch kein Halfter ans Pferd, wenn es auf der Koppel steht. Die Gefahren fürs Pferd sind einfach viel zu hoch.
Wenn Du aber mit dieser Problemstellung konfrontiert wirst, dann gib Deinem SB doch bitte diesen Blog-Beitrag zu lesen. Wäre ja schön, wenn es dabei zu einer gewissen Erkenntnis kommt.
Photo by Gábor Kulcsár on Unsplash
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