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Fury – ein Pferdeleben im Dunkeln

von | Jul 24, 2020 | Psychologie, PASSION | 0 Kommentare

Ein blindes Pferd, ausgebildet in den hohen Lektionen wie Piaffe, Passage, fliegende Wechsel und allen Zirkuslektionen. Wer das mit einem sehenden Pferd schon einmal erarbeitet hat, weiss,  wie steinig und aufwändig dieser Weg sein kann. Welche Hürden und Herausforderungen diese Ausbildung bei einem blinden Pferd mit sich bringt, hat uns der Besitzer von „Fury“ eindrücklich geschildert.

Blindes Vertrauen

Ein Pferdeleben im Dunkeln

Autoren: Theres Misar und Sandro Hürzeler / Schweizer Reitmagazin PASSION

Ein blindes Pferd, ausgebildet in den hohen Lektionen wie Piaffe, Passage, fliegende Wechsel und allen Zirkuslektionen. Wer das mit einem sehenden Pferd schon einmal erarbeitet hat, weiss,  wie steinig und aufwändig dieser Weg sein kann. Welche Hürden und Herausforderungen diese Ausbildung bei einem blinden Pferd mit sich bringt, hat uns der Besitzer von „Fury“ eindrücklich geschildert.

Eigentlich wollte Sandro Hürzeler zusammen mit seinem damals 14 Jahre alten Freiberger „Ronnie“ eine längere Auszeit nehmen. Auf Empfehlung eines Freundes entschied er sich für einen Aufenthalt auf  Betrieb in der Oberpfalz. Hier traf er auf den fünfjährigen PRE „Fury“, dessen Geschichte ihn irgendwie fesselte.
„Fury“  kam 2002 blind zur Welt. Wie sich bei späteren Untersuchungen herausstellte war die Ursache ein Gendefekt, der ihm vom Vater weitervererbt wurde. Auf dem rechten Auge war das Pferd komplett blind. Links war noch ein ganz geringes Sehvermögen von wenigen Prozent vorhanden.  Dies war jedoch bei weitem nicht ausreichend für ein „normales“ Pferdeleben. Das Fohlen lief in Wände, torkelte unkontrolliert durch die Welt und wurde mit einem Jahr verkauft. Am neuen Ort kam er erstmal auf eine Fohlenweide. Im Alter von drei Jahren wurde versucht mit der Ausbildung zu starten, was jedoch kläglich scheiterte. So wurde er wieder verkauft und kam am Ende zurück zur Zuchtstätte. Als Zuchthengst kam er aufgrund des vererbbaren Gendefekts nicht in Frage und wurde daher gelegt.

Sandro traf ein verschupftes, unterbeschäftigtes Pferd mit massiven Kopfverletzungen und unzähligen Narben an.

Ronnie und Sandro

„Fury“ lief noch immer gegen jegliche Hindernisse und verletzte sich laufend. Auch Menschen in seinem Umfeld waren durch unkontrolliertes Kopfschlagen stets gefährdet oder er trat ihnen auf die Füsse. Mit Sandros Freiberger „Ronnie“ verstand sich der Spanier auf Anhieb und es entstand rasch eine Freundschaft zwischen den beiden Pferden mit derart unterschiedlichen Voraussetzungen.

Da die Reitstunden mit „Ronnie“ nur am Morgen stattfanden begann Sandro sich nachmittags mit „Fury“ zu beschäftigen. Allerdings dachte er damals überhaupt nicht daran, das  Pferd eventuell mitzunehmen. „Als ich mit „Ronnie“ nach drei Monaten vom Hof fuhr, stand „Fury“ verloren auf dem Vorplatz wie wenn er fragen würde: warum nehmt ihr mich nicht mit?“ Zurück in der Schweiz dauerte es dann noch einen Monat, bis sich der Schweizer entschloss, das blinde Pferd zu sich zu holen. „Ich hatte mir das allerdings nie so anstrengend und mühsam vorgestellt, wie es dann tatsächlich wurde“ erzählt er heute.

„Ronnie“ entpuppte sich hier als der ideale Helfer und entwickelte sich zum  „Blindenhund“ für „Fury“.

Zusammen mit ihm in der Herde gingen auch die Kopfverletzungen bei „Fury“ rapide zurück.

Erste Versuche an der Longe schlugen jedoch komplett fehl. „Fury“ rannte panisch im Kreis und war nicht ansprechbar. So zeichnete sich rasch ab, dass Sandro mit diesem Pferd vor ganz neue Herausforderungen gestellt wurde, die viel Geduld und Empathie erforderten. Erst musste er selbst lernen die Dinge anders anzugehen und neue Wege zu suchen. Einer davon war die Arbeit mit Ausbindern, die er bis dahin noch nie im Einsatz hatte. Bei „Fury“ stellte er jedoch rasch fest, dass ihm diese Sicherheit und Orientierung gaben. Zusammen mit einer guten Kollegin, die das Pferd zu Beginn auf dem Zirkel führte, gelang es nach fast einem Jahr ordentlich auf der Volte zu longieren.

Wenn Sandro diese Zeit Revue passieren lässt, sind ihm die schlaflosen Nächte, die Grenzen, an die er regelmässig stiess und seine zeitweise Hilflosigkeit noch immer sehr präsent.

Doch Aufgeben war nie eine Option.

„Mit einem blinden Pferd musst du extrem konsequent und genau sein. Schon beim Longieren habe ich bemerkt, wie ein sehendes Pferd die Inkonsequenz des Menschen ausgleicht. Die Ausbildner bleiben nicht stehen, telefonieren oder unterhalten sich. Stimmkommandos kommen bei sehenden Pferden schlecht an, da sich die Pferde im Zweifelsfall immer an der Körpersprache orientieren. Nicht so beim blinden Pferd. Stimmkommandos müssen präzis und immer in der gleichen Tonlage sein. Im Hier und Jetzt sein, voll und ganz beim Pferd“ erläutert Sandro. „Ein „Steh“ ist ein „Steh“, und zwar sofort und nicht drei Meter später. Und Mitleid mit dem armen Tier hilft hier gar nicht. Viele Ausbildner, die ich kontaktiert hatte, rieten mir, viele Pausen zu machen oder die Zügel länger zu lassen – aus  Erbarmen. Das half jedoch überhaupt nicht, im Gegenteil! Es wurde sehr schnell sehr gefährlich“ so Sandro weiter.

„Fury“ wurde nach und nach als Handpferd beim Ausritt mitgenommen. Zuerst ohne, später mit Reiter. Durch die Blindheit waren auch andere Körperfunktionen beeinträchtigt. So wies das Pferd einen extrem schiefen Atlas auf. Hier schuf das Gymnastizieren in allen Seitengängen deutlich Abhilfe. Jedoch fiel ihm das Zuhören immer noch schwer und er war schnell gestresst. Seine Lernfähigkeit war nicht so ausgeprägt wie bei sehenden Pferden. “Werden einzelne Lektionen mehr als einen Monat nicht abgerufen, verliert er sie“, erklärt Sandro. „Er braucht beim Reiten eine konstante Anlehnung und ein deutliches Bein. Ohne Anlehnung reisst er sofort den Kopf hoch, Entspannung in die Tiefe geht nicht.“

Spanischer Tritt

Immer wieder kamen Sandro Zweifel, ob er den richtigen Weg gewählt hatte. Er stellte fest, dass „Fury“ entgegen allen anders lautenden Aussagen über einen gewissen Stresslevel das von ihm geforderte auch lernte. Sehende Pferde lernen durch Nachahmung und Zuschauen und das Lesen der Mimik. Nicht so „Fury“.

Bei ihm waren Timing und Geschwindigkeit von Lob und Strafe die entscheidenden Faktoren für den Erfolg.

Geholfen haben auch verschiedene Trainer, Ausbildner, Ausbildungsgegenstände, Reitweisen und Freiheitsdressur. „Insbesondere Menschen mit schwierigen Pferden, die auch immer wieder nach Lösungen suchen mussten, haben mich hier in meiner Arbeit weitergebracht“, erklärt Sandro.

Inzwischen klappt das Ausreiten seit vier Jahren sehr gut. „Fury“ hat gelernt, immer und überall auf seinen Reiter zu hören. Schenkel, Zügelhilfen und die Stimme anzunehmen. Stimmhilfen allein waren am Anfang auch schwierig. Waren andere Geräusch wie z.B. ein vorbeifahrender Traktor lauter als die Stimme des Reiters, sprang das Pferd unkontrollierbar nach rechts weg.

Aber mit jedem Erfolg und Lektion, die das Paar erreichte, wuchsen die Freude und der Ehrgeiz der Beiden. Heute kann „Fury“ Piaffe, Levade, Pesade sowie alle Zirkuslektionen. Aber schon nur das Erlernen des Kompliments dauerte fast ein Jahr.

Erstaunlich – ja fast unglaublich ist die Entwicklung, die das blinde Pferd im Vergleich mit seinen sehenden Kollegen durchlaufen hat. War das Pferd vor der Ausbildung immer das rangniedrigste, veränderte sich seine Position und das Selbstbewusstsein mit zunehmendem Können und dem Aufbau der Muskeln.

Heute ist er der Herdenchef

Heute ist er Herdenchef und wird auch vom vierjährigen Junghengst respektiert und anerkannt. Sandro ist zudem überzeugt, dass die Körpersprache der Pferde nicht nur visuell, sondern auch telepathisch sein kann. So werden die Drohgebärden verzögert aber richtig wahrgenommen und starren alle Pferde in eine Richtung, kommt das auch bei „Fury“ an.


Schwere Lektion auch für sehende Pferde

Wie lernt ein Pferd die fliegenden Wechsel? Durch visuelle Hilfen wie über Cavaletti galoppieren, oder kurz vor der Bande vom Aussengalopp zu wechseln. Beim blinden Pferd kommt das nicht zum Einsatz. Showreiter haben mir beigebracht für Lektionen Laute zu verwenden, ähnlich wie beim Clickertraining. Oder durch touchieren der Kruppe musste „Fury“ lernen was ich von ihm wollte. Heute beherrscht er Einerwechsel.

Die Pesade

Pesade

Die Pesade ist eine Übung der klassischen Reitkunst, bei der das Pferd sein Gewicht auf die Hinterbeine verlagert, seinen Rumpf in einem Winkel von mehr als 45° zum Boden hebt und die Vorderbeine an den Leib zieht. Ist der Winkel kleiner, spricht man von einer Levade.

Blindes Steigen

Viele Trainer wählen gezielt talentierte Pferde aus, welche sich für die Lektion „Steigen“ eignen. „Fury“ wäre nie in den erlauchten Kreis der Auserwählten gekommen, wenn nicht sein Besitzer an ihn geglaubt hätte. Das Steigen erlernte er über die Piaffe, Levade und Pesade. Dank Stimme, touchieren mit der Gerte und Zügelhilfen.

 

 

 

 
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