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«Doña Carolina, die Gauchos warten auf Sie.»

Unterwegs auf 6 Beinen - Teil 1

Leseprobe aus "Die Pferdin"

Der Geruch von Pferdenasen – Caroline Wolfer kann sich ein Leben ohne Pferde nicht vorstellen. Bereits als Kind galoppierte sie auf allen Vieren durchs heimische Wohnzimmer. Dabei fühlte sie sich eher wie ein Pferd denn als Mensch. Diesem Verständnis ihrer selbst ist sie bis heute treu geblieben. Überall auf der Welt gibt es Pferde – aber auch Männer, die meinen, so ein Tier müsse unterworfen sein, damit es sich reiten lasse. ­Caroline Wolfer praktiziert den umgekehrten Weg. Sie hat gelernt, die subtile Sprache der Pferde zu verstehen und zu führen wie eine Leitstute. In Feuerland verbrachte sie Monate abgeschieden auf einer Außenstation bei einem Gaucho mit Wildpferden und Rindern. Diese einmalige Zeit bildet die Rahmenhandlung zu ihren Geschichten von Begegnungen mit Pferden in aller Welt. Heute lebt Caroline Wolfer im Berner Oberland. Auf ihrem Pferdehof führt sie Menschen zu einer innigen ­Begegnung mit diesen sensitiven Tieren.


raue Bedingungen

 

Autorin: Caroline Wolfer, natural horses

«Was hast du mit meinem Sattel gemacht?» Huinca wusste noch immer nicht wohin mit seinem Frust. Einem Gaucho sollte man nie sein Sattelzeug anfassen, das war heilig. Ich wusste das, aber in diesem Moment war es mir egal. Früher hätte ich dazu eine Diskussion gestartet und mich in Frust und Wut verstrickt, hätte mich wie eine Mücke in einem Spinnennetz verfangen und sämtliche Energie darauf verwendet, mich aus dem Netz freistrampeln zu wollen.

Nun ließ ich davon ab. Selbst für eine Frau konnte es gefährlich sein, sich mit einem Gaucho auf die Weise anzulegen. Diese Lektion meinte ich gelernt zu haben.

Ich erinnerte mich an Leandro, den jungen Gaucho, der auf der riesengroßen Estancia «Los Arboles» in Salta Pferde einritt. Ich war vom «Patron», dem Besitzer, angefragt worden, ob ich seinen fünf Bereiter-Gauchos zeigen könnte, wie man Pferde auf natürliche Weise einreitet. Blauäugig, wie ich mit meinen 26 Jahren war, dachte ich, mein Mädchentraum hätte mich aufgespürt.

Ich fand es großartig, dass der Patron, ein sehr reicher Europäer, der diese traditionsreiche Estancia vor Kurzem gekauft hatte, Wert  auf ein gewaltloses Einreiten legte. Ihm war aufgefallen, dass sich keines der 500 auf der Estancia lebenden Pferde einfach so anfassen ließ und man sie auf der Weide jeden Tag von Neuem mit dem Lasso einfangen musste. Dieses Verhältnis behagte vor allem seiner leicht ängstlichen Frau nicht. Also starteten wir dieses Projekt. 

Es war eine argentinische Kollegin, die mich ihm empfohlen hatte. Damals wohnte ich mit meinen Pferden in Spanien, und bei einem Ferienaufenthalt in Argentinien hatte es sich ergeben, dass ich Gauchos gezeigt hatte, wie man Pferde schonend einritt. Die Nachricht davon hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.

Arbeit im Corall

 

Leandros scharfer Blick wanderte zu meiner rechten kleinen Zehe runter, von dort zum linken Knie, dann hinauf über den rechten Arm bis zum Kopf, wobei er sorgfältig jeden Augenkontakt vermied. Ein Schaudern lief mir den Rücken hinunter. Doch ich hatte keine Zeit, darauf zu achten. Ich schaute mir zu, wie ich vor fünf Gauchos stand, zu meiner Rechten Nicolas, der «Encargado», der die mehr als hundert Leute auf der Estancia führte. Ich wusste in dem Moment nicht, ob ich in meinem Körper war oder irgendwo anders. Die Knie wurden mir weich, und bald stand ich da wie ein leerer Kaffeeautomat, aus dem nichts mehr rauskam.

Nicolas präsentierte mich als bekannte Bereiterin aus Europa, die gewillt war, mit den Männern von Los Arboles ihr Wissen zu teilen. Danach zeigte er ihnen ein Video von mir, wie ich auf einem meiner Pferde ohne Sattel und Zaum über Hindernisse sprang. 

«Wie konnte er nur! Was für eine Lüge! Ich war doch in Europa gar nicht bekannt!»

Das machte alles nur noch schlimmer. Mir wurde schwarz vor Augen. Nur mühsam blieb ich auf den Beinen stehen, und ich verfluchte mich selbst, mich in diese Situation begeben zu haben.

Die zehn Augenpaare der Gauchos verfielen nicht etwa ins Staunen, sie verengten sich zu kleinen Schlitzen, Blitze zuckten aus ihnen und versuchten mich zu einem elenden Haufen Kohle niederzubrennen. Die überhebliche Präsentation meiner Person hatte die stolzen Gemüter der Männer in Schwarz verletzt. 

Ich kannte das Spiel von früheren Erfahrungen mit Gauchos: Versuche bloß nicht, etwas besser zu wissen oder ihnen demonstrieren zu wollen. Nur schon den leisesten Gedanken von «Ich werde es ihnen zeigen» warfen diese harten Männer mit Unmut und Trotz zurück.

Sanfte Annäherung

Ich wusste nicht, wie ich mich dem Spiel hätte entziehen können. Und man hatte mir schlechte Karten zugeteilt. In dieser Lage sah ich mich irgendetwas erzählen darüber, dass Pferde ihre eigene Sprache hätten und wir diese erlernen sollten, um sie einzureiten. Keiner der Gauchos schien mich zu verstehen. Sie konzentrierten sich vielmehr auf die Erzeugung von immerfort aus ihnen schießenden Blitzen, um den Brand aufrechtzuerhalten. 

Die Zeit schien kein Ende zu nehmen, die Blitze auch nicht. Nach einer Ewigkeit wurde ich zum Haupthaus der Estancia gebracht. Diese traditionelle, sehr große Estancia bestand aus einem Haupthaus mit üppigem Park und allem Luxus für den Besitzer und seine Gäste. Die Angestellten wohnten in ihrer eigenen kleinen Gemeinschaft etwas weiter davon entfernt. Oft hatten sie in ihren Häusern weder Strom noch Toiletten, und sie kochten in gemeinschaftlichen Lehmöfen.

Diese Klassenunterschiede waren mir fremd. Ich fühlte mich nicht wohl in der Rolle, zu den «Besseren» zu gehören. Wenn eine Angestellte leise in mein Zimmer schlich, um Feuer im Kamin zu machen, getraute ich mich nicht aufzuschauen. 

Eine andere junge Frau fragte mich jeden Tag nach meinen Kleidern. Ihr Job war es, Kleider zu waschen und Stiefel zu putzen. Auf ein Gespräch ließen sich die Angestellten nicht ein, schon gar nicht, nachdem ich ihnen erklärt hatte, dass ich üblicherweise meine Kleider selber wusch.

Bald merkte ich, dass es beleidigend war, sie ihren Job nicht ausführen zu lassen. Und dass sie mich nicht einzuordnen wussten, wenn ich mir die Kleider nicht waschen ließ. Mit gesenktem Blicken und kleinen, schnellen Schritten machten sie sich an ihre Arbeit. 

Es klopfte an meiner Tür. Ich war vor Erschöpfung eingeschlafen. In der Tür stand eine geduckte Frau und hielt Kleider in den Händen. «Doña Carolina», sagte sie leise. Man hatte mich als solche vorgestellt. «Ich habe Ihre Kleider fertig.» Unter Gauchos und deren Frauen wurden meist Höflichkeitsformen verwendet. Elisa, die Schneiderin, drückte mir meine neuen maßgeschneiderten Gauchohosen in die Hand, eine weiße Bluse und neue Lederstiefel. Mit gemischten Gefühlen nahm ich das wunderschöne Gewand entgegen und dankte ihr von Herzen. 

Ich saß auf dem Bett. Erstarrt. Meine Uniform lag neben mir und wartete darauf, getragen zu werden. Ich wäre am liebsten auf und davon gelaufen, mit den Pferden in den Bergen verschwunden. Sollten die Tiere doch so wild weiterleben wie zuvor, und ich würde meinen Frieden haben. Am Vortag hatten wir mit Nicolas und dem Patron zusammen die neue Organisation der rund 500 Pferde besprochen. Die meisten davon lebten wild in den Bergen; sie wurden nur einmal im Jahr zusammengetrieben, um Junghengste auszusortieren und Stuten zu kontrollieren. Auf die Dreijährigen wartete dann der Ernst des Lebens: Ihre Seele musste die Weiten der Berge und Täler verlassen und wurde in einen Panzer aus Erwartungen und Pflichten gequetscht. Ich sollte für diese ganze Organisation verantwortlich sein, für das Zuteilen der Hengste zu den Stuten und das Auswählen und Einreiten der künftigen Reitpferde. In meinem Enthusiasmus hatte ich bereits Ja zu dieser Verpflichtung gesagt.

Begegnungen in der Wildnis

Noch immer saß ich auf dem Bett. Suchte nach einem Kniff, wie der Film hätte zurückgedreht werden können. Brachte den Mut nicht auf auszusteigen, ein Pferd zu schnappen und in die Berge zu reiten. Sämtlich Pferde-Bücher aus der Bibliothek hatte ich gelesen von Federica de Cesco und anderen Autoren über Frauen mit wilden Pferden, Geschichten von wilden Hengsten und von Indianervölkern. In jedem dieser Bücher war ich Protagonistin gewesen. Ritt ich jauchzend im Trommelschlag der Pferdehufe. Aber da gab es kein einziges Buch, in dem ich Gauchos unterrichtete! Irgendwo musste ich eine Abzweigung und einen Weg verpasst haben.

Das Bett fühlte sich mit einem Mal unbequem an, das ganze Zimmer stickig, die weiße Bettwäsche bedrohlich.

Wieder klopfte es. Ich erkannte die Stimme von Nicolas durch die Tür. Mein Empfinden in meinem Körper machte mir vor, ich säße in einer Gefängniszelle, und ein Wächter sei gekommen, um mich zur Folterkammer zu führen.

«Doña Carolina, die Gauchos warten auf Sie.»

die Pferdeherde


Die Pferdin

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Die Pferdin

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