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An die Arbeit

von | Aug 20, 2022 | Ausbildung, Psychologie, PASSION | 0 Kommentare

An die Arbeit!

Autorin: Ruth Hermann für das Schweizer Reitmagazin PASSION

In meiner Tätigkeit als Verhaltenstierärztin und Pferdetrainerin geht es oft darum Situationen oder Beziehungen zu klären. Während bei den Pferden der Weg über das Training führt, also die Art, wie man auf sie ein- und mit ihnen umgeht, sind bei Menschen auch Gespräche über Vorstellungen und Wünsche Bestandteil des Lösungswegs. In der Kommunikation pendeln wir immer irgendwo zwischen Verständnis und Missverständnis, sowohl unter uns Menschen aber auch in der Verständigung mit unseren Pferden. Sich verstanden fühlen ist beglückend, das geht Menschen und Tieren so.

In einer guten Beziehung nimmt man das Gegenüber wahr und fühlt sich von ihm verstanden. Als Menschen haben wir verschiedene Verständigungskanäle, inhaltlich bedeutend ist aber meist die Sprache. Sie transportiert oft mehr, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Worte sind keine wertfreien und eindeutigen Informationsträger. Wir füllen sie mit eigenen Erfahrungen, Vorstellungen und Gefühlen. Und Worte haben eine Geschichte, sie unterliegen manchmal im Laufe der Zeit auch einem Bedeutungswandel. So ist es auch mit Worten, die unsere Beschäftigung und unseren Umgang mit Pferden beschreiben. Sie beeinflussen unsere Einstellung zum Pferd und damit auch unsere Handlungen.

Wer auf dem Viereck oder in der Halle reitet, arbeitet sein Pferd. Was bedeutet „Arbeit“ in diesem Zusammenhang?

Wie bei Jäger oder Fischer gibt es auch bei Reiter Fachbegriffe, welche für Aussenstehende befremdlich bis unverständlich sind. Zu Zeiten als sich deutsche Pferdefachbegriffe etablierten, war der Begriff Training noch nicht gebräuchlich. Trainingseinheiten wurden als Arbeitseinheiten bezeichnet.

Ist Arbeit etwas Negatives?

Das Wort Arbeit kann man durch Training ersetzen, es hat in diesem Zusammenhang die gleiche Bedeutung. Grundsätzlich ist das also nichts Negatives. Für viele von uns schwingt beim Wort Arbeit aber noch anderes mit: Arbeit ist anstrengend und macht keinen Spass. Dasmuss sie auch nicht, denn es ist ja Arbeit. Trainiere ich mit dieser Einstellung mein Pferd, besteht u.U. die Gefahr, dass ich verbissen und „stur“ werde, vergesse mein Pferd für gute Ansätze zu loben oder es in die Übermüdung reite. Erlebt das Pferd immer wieder Gefühle von Unverständnis und Überforderung, wird es die Motivation verlieren. In der Verhaltenspsychologie nennt man dies „erlernte Hilflosigkeit“ und bedeutet, dass ein Pferd resigniert hat. Es hat gelernt, dass es sich anstrengen kann wie es will, es gib keinen Ausweg aus der unangenehmen Situation.

Darum ist es wichtig beim Training gute Reaktionen und kleine Fortschritte zu loben, viele kleine Pausen einzulegen und das richtige Mass zu finden.

Was ist Freizeit und was Arbeit für ein Pferd?

Das sind menschliche und recht moderne Kategorien. Ihre Übertragung auf Pferde finde ich nicht unproblematisch. In meiner Freizeit kann ich zu weiten Teilen selber darüber bestimmen, was ich machen möchte. Je nachdem wonach mir ist, kann ich z.B. Freundinnen treffen, mich auf meinem Sofa lümmeln und lesen, einen Ausflug in die Stadt machen oder einen Waldspaziergang unternehmen. Übertrage ich das auf die Lebensrealität vieler unserer Pferde, fällt auf, dass deren Entscheidungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt sind. Sie hängen stark von der Art der Haltung ab. Im günstigen Fall hat mein Pferd befreundete Pferde um sich, mit denen es sich wohl fühlt und Verhalten wie z.B. Fellkraulen und Spielen zeigen kann. Es kann sich relativ frei bewegen, auf die Weide gehen oder auch einen geschützten Bereich aufsuchen, wenn es von vielen Insekten gestört ist. Im ungünstigen Fall verbringt es seine „Freizeit“ in einer Box ohne Aussicht, versteht sich nicht gut mit seinem Pferdenachbarn und wird phasenweise auf eine kleine Fläche ohne Gras gestellt, wo es Insekten nicht ausweichen kann. Oder es lebt in einer Pferdegruppe in der es sich nicht wohl fühlt, traut sich nicht zum Futter und kann geschützte Bereiche nicht aufsuchen, wenn die anderen sich dort aufhalten. Und dann gibt es viele Zwischenstufen, in denen sich das Leben unserer Pferde abspielt. Inwiefern ist der Begriff Freizeit dafür angebracht?

Ich versuche es einmal mit dem Begriff „Arbeit“. Ich würde es als die Aufgaben definieren, die wir unseren Pferden geben. Das kann wirkliche „Erwerbstätigkeit“ in verschiedenen Bereichen, wie Reitschul- oder Touristenreitpferd, Therapiepferd, Holzrückpferd oder Kutschpferd sein. Aber auch unsere Freizeit- und Sportpferde sind weitgehend fremdbestimmt. Aus Sicht des Pferdes macht es wohl keinen Unterschied, ob es sein Geld „selber verdient“ oder nicht.

Matthieus mit Nordin

So wie wir auch in unterschiedlichen Arbeitsrealitäten leben – vom Traumberuf im idealen Arbeitsumfeld bis zum harten oder stumpfsinnigen Job in einem Umfeld mit hohem Druck und wenig Anerkennung – so unterschiedlich ist die „Arbeit“ unserer Pferde. Hier hängt vieles auch von unserer Einstellung ab. Sind wir eher Anhänger der „da-musst-du-durch, egal-wie-es-dir-dabei-geht“-Fraktion? Dann leben wir ohne Sorgen, solange das Pferd tolerant ist. Zeigt es aber sein Unwohlbefinden durch Scharren, Aggression, Buckeln oder ein anderes Konfliktverhalten, dann „nervt“ es! Im besten Fall kommt dann die Frage auf, warum sich das Pferd nicht wohl fühlt und wie man eine Lösung findet, mit der auch das Pferd gut leben kann.

Interessant in dem Zusammenhang war ein Fall, als einem Pferd einer Kundin „Arbeitsverweigerung“ attestiert wurde. Es fiel regelmässig in den Galopp, statt schneller zu traben. Körperliche Problem wie Lahmheit oder dergleichen konnten jedoch nicht diagnostiziert werden. Glücklicherweise ging die Besitzerin entspannt mit dieser „Expertenmeinung“ um und das Pferd lernte durch gezieltes Training stufenweise im Trab mehr Tempo zuzulegen und gewann an Koordination und Kraft.

In einem anderen Fall wurde ein Pferd, welches beim Angaloppieren manchmal heftig buckelte, als renitent und frech bezeichnet. Massive Verspannungen, ausgelöst durch mangelnde Tragkraft und einen schlecht passenden Sattel, lösten Schmerzen aus, welche beim Angaloppieren eine solche akute Spitze erreichten, dass sich das Pferd nur durch Bocken zu helfen wusste.

Es lohnt sich also, Pferden und Ponys eine gute Grundausbildung zukommen zu lassen, die von einer erfahrenen Person ausgeführt oder begleitet wird. So können die Tiere angemessen physisch und psychisch an die vielfältigen Aufgaben – ihre „Arbeit“ – herangeführt und ihrer Eignung und Neigung entsprechend eingesetzt werden. Und auch wir Nutzer/Innen sind gefordert uns in unserem Rahmen weiterzubilden, um eine gute „Arbeitgeber/Innen“ zu sein. So wäre es zumindest in einer idealen Welt.

Ist Ausreiten Freizeit für das Pferd?

Ausreiten ist Training. Je nach Pferd und Gesichtspunkt sogar ein sehr intensives Training. Es gibt viele unterschiedliche Umwelteinflüsse: Der Vierbeiner muss – allenfalls sogar alleine – vom sicheren und gewohnten Stall weg in unbekanntes Gebiet. Er erlebt plötzliche und unheimliche Begegnungen, es geht rauf und runter, der Boden variiert, ist vielleicht uneben oder rutschig. Im richtigen Mass mit dem entsprechend vorbereiteten Pferd und der passenden Reiterin oder dem passenden Reiter können Ausritte ein ausgezeichnetes Training sein. Hingegen kann der Schrittausritt am langen Zügel für ein Pferd mit Tragschwäche bereits eine Überbelastung darstellen.

Training versus „Spass“ kann das vereinbart werden?

Gar nicht so einfach zu beantworten! Spass bedeutet sicher positive Emotionen. Das Training macht Freude, weil es erfolgreich ist. Es gelingt beispielsweise Schwierigkeiten oder Ängste zu überwinden. Oder, dass das Pferd auf feine Signale die gewünschten Bewegungen ausführt und mir damit ein Gefühl von Einheit und Zusammensein gibt. Das Pferd vermittelt mir das Gefühl, es mache freiwillig mit. Ein motiviertes Pferd hat „Spass“, also auch positive Gefühle im Training.

„Spass“ kann aber auch negativ behaftet sein, wenn wir beispielsweise von „Spassgesellschaft“ sprechen. Dann geht es meist um kurzfristige Freude ohne Rücksicht auf Neben- und Auswirkungen.

Als Pferdenutzerin sehe ich es als meine Aufgabe an, die Zeit mit meinem Pferd so zu verbringen, dass es ihm gut geht dabei und die positiven Aspekte und Gefühle weitaus überwiegen. Durch einen achtsamen Umgang und viele kleine Trainingserfolge, die ich entsprechend durch Pausen und zuweilen auch Futter würdige, entwickelt sich ein gegenseitiges Vertrauen und eine Verbundenheit. Und ehrlicherweise muss ich mit allen vergangenen Fehlern, welche meine Pferde und Ponys ausbaden mussten, leben. Und bin auch nicht gefeit davor, neue zu machen.

Ist das Leben in der freien Wildbahn einfach nur „Spass“?

Nein bestimmt nicht. Es ist grundsätzlich das Leben als Spezies in freier Natur, für das sich Pferde in den zurückliegenden Jahrmillionen entwickelt haben. Selbst unsere Hauspferde, welche durch einige Tausend Jahre Domestikation geformt wurden, sind in der Lage als wilde Pferde zu überleben. Sie bilden soziale Gruppen, leben zusammen und pflanzen sich fort. Sie erleben aber auch Hunger, allenfalls Gefahren durch Raubtiere und werden nicht gepflegt, wenn sie sich verletzen oder erkranken. Das Leben in freier Wildbahn hat auch seine sehr harten Seiten. „Spass“ ist dafür ein zu kurzfristiger Begriff. Den haben Fohlen im Spiel und Junghengste bei spielerischen Kämpfen. Spass ist biologisch gesehen dafür da, sie zu diesen Trainingseinheiten für spätere Anforderungen zu motivieren.

Kann ein Pferd „freiwillig“ mit dem Mensch zusammenarbeiten?

Das ist eine sehr schöne Frage! Die Frage des freien Willens ist ja auch bei uns Menschen nicht ganz unstrittig. Wie frei ist unser Wille tatsächlich und was beeinflusst unsere Entscheidungen? Etwas weniger philosophisch können wir sicher sagen, dass wir eine gewisse Entscheidungsfreiheit haben und dass diese deutlich grösser ist, als die unserer Pferde. Ihre „Freiwilligkeit“ ist letztlich immer das Produkt eines Trainings, welches von uns initiiert wird. Wenn wir es besonders gut machen möchten, dann achten wir darauf, unserem Pferd angenehm zu sein, ihm möglichst keine Angst und unsere Wünsche gut verständlich zu machen. Aber viele Dinge die wir tun, lösen Ängste aus, sind manchmal unangenehm und wir riskieren täglich missverständlich zu sein. Gewisse Pferde reagieren empfindlicher, andere sind toleranter. Überwiegt die positive Seite, können wir eine gute Beziehung zu einem Pferd aufbauen, es entsteht Vertrauen und bei gutem Training eine feine Kommunikation, welche zuweilen als „Freiwilligkeit“ ausgelegt wird. Dass ein Pferd freiwillig mitmacht oder intrinsisch motiviert sei mit uns zusammenzuarbeiten, sieht man in der Werbung für Ausbildungsmethoden oder wird von Trainern so erklärt.

Zirkuslektionen
Selber ständig auf der Suche nach noch besseren Ausbildungswegen und aber auch gut vertraut mit der Lernpsychologie habe ich viele Methoden näher angeschaut und Trainern zugesehen. Ich habe dabei viel gelernt und Beobachtungsgabe, Mass und Timing von ausgezeichneten Trainerinnen und Trainern erlebt. Aber ich habe auch gesehen, dass solche Begriffe eine Mogelpackung sein können. Dann nämlich, wenn die Ausbildungsmethode nicht hält, was sie verspricht. Oder aber, wenn Trainerinnen und Trainer – so ausgezeichnet sie sein mögen – die Lernpsychologie nicht wirklich kennen, Begriffe nicht korrekt verwenden oder sich nicht bewusst sind, was sie wirklich machen. Auch wenn ich diesen Traum der totalen Einheit gut nachvollziehen kann, bin ich doch der Ansicht, dass wir mit so grossen Begriffen wie „Freiwilligkeit“ machmal etwas vorsichtiger umgehen sollten.

Bis zu welchem Grad kann ein Pferd zu etwas gezwungen werden?

Das ist sicher individuell unterschiedlich. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, Pferde werden zu sehr viel gezwungen. Die Frage ist, wo wir die Grenzen zum Zwang setzen, wieviel Zwang wir als akzeptabel erachten und ob es ein übergeordnetes Ziel gibt, welches den Zwang rechtfertigt. Ich frage mich aber auch immer: geht es auch anders?

Zwang ist ja eigentlich das Gegenteil des freien Willens. Innere oder äussere Zwänge führen zu einer Handlung. Auch wir stecken in vielen Alltagszwängen. Wir tolerieren sie, tun dies „freiwillig“, weil wir den Sinn darin sehen. Oder einfach, weil wir es so gelernt haben oder weil wir die Konsequenzen des Widerstandes nicht tragen wollen. Ich meine damit noch viel banalere Dinge, als die aktuellen COVID-Massnahmen, die wohl jedem dabei in den Sinn kommen. Wir nehmen viele Alltagszwänge ganz zwanglos hin, was ganz normal ist. So ist es auch bei Pferden. Gestalten wir die Trainingsschritte entsprechend, kann eine Ausbildung sehr zwanglos geschehen. Das „du musst“ wird zu einem „du kannst und ich zeig dir wie“. Das richtige Mass ist die Herausforderung jeder Pferdeausbildung und verlangt etwas Grips, Empathie und Einsatz.

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Passion
PASSION denkt nicht in Sparten oder Disziplinen. Das Magazin ist offen und aufgeschlossen gegenüber allen Facetten der Reiterei. Und wir sind überzeugt, dass jeder Pferde-Fan mit der nötigen Offenheit auch von den Erfahrungen, den Ideen und dem Wissen aus anderen Bereichen der Pferdewelt profitieren kann. Eines bleibt immer gleich: unser Partner ist ein Pferd. Und das ist unsere PASSION.

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