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...denn Pferde lernen immer!

So lernen Pferde

Artikel aus der PASSION 1/2016, Autorin: Bettigna Musterle, Dr. med. vet., FVH für Pferde

Wie lernen Pferde überhaupt? Wann macht Strafen Sinn? Was bedeutet negative Verstärkung? Darüber, wie Pferde sich Verhaltensweisen aneignen und über die wissenschaftlichen Hintergründe zum Lernverhalten von Pferden sollten sich Reiter und Pferdebesitzer gut informieren. Denn so lassen sich Missverständnisse und negative Spiralen vermeiden und das Leben wird für alle Beteiligten schöner.

Mein Anliegen ist, dass wir Tierärzte Pferde nicht nur wieder fit machen sondern das Wissen über Lernverhalten so umsetzen, dass die unangenehmen medizinischen Verfahren vom Pferd positiv gespeichert werden können.

Der Lernvorgang beim Pferd

Pferde lernen immer

Pferde lernen ab dem Moment ihrer Geburt durch operante Konditionierung. Diese kann durch Selbsterfahrung, die anderen Herdenmitglieder oder den Menschen erfolgen. Für die tägliche Arbeit mit dem Pferd heisst dies übersetzt: Man fördert gezielt das Verhalten, das man von seinem Pferd möchte. Unerwünschtes Verhalten versucht man in erwünschtes umzuwandeln.

Wenn das Pferd zum ersten Mal die gewünschte Reaktion auf einen Stimulus zeigt, belohnt man und wiederholt die Übung. Funktioniert dies drei Mal hintereinander, kann man davon ausgehen, dass das Pferd den Zusammenhang verstanden hat.

Als nächsten Schritt geht es darum, das Verhalten zu formen. Beim ersten Mal Hufe geben hat das Pferd vielleicht nur ganz kurz den Huf hochgehalten. Nun formt man diese Antwort in der Zeitdauer und im Ablauf, bis man das gewünschte Verhalten erreicht hat: Das Pferd hebt den Huf kontrolliert und hält ihn für die gewünschte Zeit auf der gewünschten Höhe. Klappt dies am Putzplatz, geht es ans Generalisieren, d.h. das Verhalten wird in anderer Umgebung mit zunehmender Ablenkung trainiert.

Konsequenz in der Pferdeerziehung

Konsequenz heisst, täglich in kleinen Schritten gezielt arbeiten, vor allem an sich selbst.

Wenn das Pferd nicht verstanden hat, was man will, kann es auch nicht richtig reagieren. Daher muss man jede Aufgabe in kleine Einzelschritte unterteilen, eine Situation schaffen, in der das Pferd verstehen kann, was man von ihm will und gezielt daran arbeiten, bis es sitzt. Erst dann kann der nächste Lernschritt in Angriff genommen werden. Wenn es nicht weitergeht, muss man einen anderen Weg suchen, um dem Pferd klarzumachen, was man will und vielleicht in der Ausbildungsstufe einen Schritt zurück gehen.

Konsequenz ist also einerseits wichtig, damit das Pferd die Chance hat zu verstehen, was der Trainer von ihm will und so erfolgreich und entspannt lernen kann. Andererseits aber auch, um ein Verhalten so zu verankern, dass dieses in den verschiedensten Situationen abgerufen werden kann.


Wichtige Begriffe kurz erklärt

  • Operante Konditionierung: Wenn ein Verhalten ein für das Pferd positives Resultat hat, wird es dieses Verhalten vermehrt zeigen
  • Negative Verstärkung: Nicht Strafe, sondern Belohnung durch Wegnahme eines Stimulus
  • Positive Verstärkung: Das Hinzufügen einer Belohnung beim Zeigen von gewünschtem Verhalten
  • Strafe: Bestrafung exakt im Moment des unerwünschten Verhaltens
  • Gewöhnung: Pferd gewöhnt sich an einen Stimulus und hört auf zu reagieren
  • Sensibilisierung: Gegenteil von Gewöhnung
  • Überflutung: Pferd ist massiven negativen Stimuli ausgesetzt ohne diesen ausweichen zu können

Grenze Konsequenz/Gewalt

Gewalt entsteht aus Frustration und Ungeduld oder aus Angst. Mit Konsequenz hat Gewalt nichts zu tun. Wo fängt Gewalt an? Ein Antippen mit der Gerte ist meiner Meinung nach kein Problem. Wird die Gerte aber mit Kraft auf den Pferdekörper niedergebracht, geht das zu weit. In aller Regel ist man ohnehin zu spät und das Pferd stellt keinen Zusammenhang mehr her (Zeit vom Verhalten zur Strafe: maximal eine (!) Sekunde).

Wird man von einem Pferd angerempelt, kann es eventuell nötig sein, rasch von den feinen Hilfen zu stärkerem Einwirken mit dem Seil oder einer Gerte zu kommen. Hier geht es darum, dass das Pferd ein potentiell gefährliches Verhalten zeigt. Setzt man sich in diesem Moment deutlich durch, lernt das Pferd eine wichtige Lektion innert zwei Minuten.

Lässt man immer wieder kleinen Ungehorsam durchgehen, hat man irgendwann ein Pferd, das nur mit starken Hilfen wieder in seine Grenzen zurückgesetzt werden kann. Dies ist letzten Endes nötig, aber unfair für das Pferd, da der Besitzer nicht frühzeitig erzieherisch eingegriffen hat. Pferde sind untereinander nicht zimperlich. Wenn nötig, darf der Mensch durchaus auch mal deutlich werden. Solange das Pferd weiss, worum es geht und die Chance hatte, auf feine Hilfengebung zu reagieren.

Gegenseitige Erziehung, Übernahme für uns

Pferde haben Spielregeln. Aus der Beobachtung von Pferden untereinander kann man lernen, was verschiedene Positionen im Verhältnis zum Pferd für eine Wirkung haben, welche Reaktionen auf Drohgebärden kommen, was für Verhalten zur Beschwichtigung dient usw. Teilweise kann dies übernommen werden (Position hinten wirkt treibend, Postion vorne wirkt bremsend, Abstufung der Hilfengebung, etc). Es muss uns aber bewusst sein, dass wir Menschen bleiben und vom Pferd nie als Artgenossen wahrgenommen werden.

Wir können mit dem Einbauen von Techniken aus solchen Beobachtungen nur dem Pferd erleichtern, herauszufinden, was zum Kuckuck der Zweibeiner jetzt wieder will und ihm durch Wegnahme des Stimulus oder durch Lob sofort signalisieren, dass das gezeigte Verhalten erwünscht ist.


Bettigna Musterle

Bettigna Musterle

Dr. med. vet., FVH für Pferde

Tiermedizinstudium 2004 in Zürich abgeschlossen, Dissertation zum Thema Hufgesundheit, seit 2013 Fachtierärztin für Pferde, zur Zeit Weiterbildung in Pferdezahnmedizin. Immer schon an Pferdeverhalten interessiert, prägende Erfahrungen am Australian Equine Behavior Center über Lernverhalten bei Pferden. Praktische Arbeit in einer kleinen Pferdeklinik in der Region Zürich.

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