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Angst ist ein schlechter Begleiter

von | Feb 5, 2023 | Psychologie, PASSION | 0 Kommentare

Wenn das Pferd nein sagt

mit Sandra Remund

Autorin: Karin Rohrer für das Schweizer Reitmagazin PASSION

Angst ist ein schlechter Begleiter

Sandra Remund hat wohl ein Flair für sogenannte ‘Problempferde’. Schon mehrmals kamen solche unreitbare oder gar als gefährlich eingestufte Pferde zu ihr. Meistens blieben sie und mauserten sich mit viel Geduld und Liebe, aber auch Konsequenz und fundiertem Training zu Pferden, die vielseitig eingesetzt werden können und nun einen tollen Job machen.

Der Betrieb der 33-jährigen Sandra Remund im bernischen Illiswil heisst SR Westerntraining. Hier hat sich die junge Trainerin einen Traum erfüllt und macht das, was sie immer tun wollte, nämlich Pferde und Menschen ausbilden. Eine solide Basis ist das A und O in der Ausbildung von Westernpferden, da steht die Ausbildnerin dafür ein. Eine Schnellbleiche ist absolut nicht ihr Ding, denn sie will langlebige, gesunde Reitpferde, welche für verschiedene Einsatzmöglichkeiten offen sind. Fünf der Schulpferde in ihrem Stall haben eine traurige oder zumindest spezielle Vergangenheit, wurden teilweise von einer Hand zur anderen gereicht, galten entweder als unreitbar oder kamen nach missglückten Ausbildungsversuchen zu ihr, quasi als letzte Auffangstation.

Bei Druck komplett blockiertBlue

‘Blueberryblues’ ist ein Quarterhorse. «Ein talentiertes Pferd mit bester Abstammung und etlichen Erfolgen an Zuchtprüfungen. Aber das junge Pferd hatte schon eine ordentliche Tour de Suisse zurückgelegt, von Trainer zu Trainer. Mit sechs Jahren sagte ‘Blue’ nur noch nein, stieg und bockte beim kleinsten Druck, sein Schicksal war schon fast besiegelt. Da kam er zu einer Pferdetherapeutin, welche ihn zwei Jahre therapierte, nicht viel von ihm verlangte. Dann kam er zu mir ins Training. Bei allem, was nur ansatzweise wie Druck aussah, blockierte er komplett. Nur schon zum Einladen in den Anhänger benötigten wir eine Stunde und selbst beim Zügel annehmen oder beim Verlangen von ein paar Schritten rückwärts oder seitwärts kam von seiner Seite ein klares Nein, er stand unter einer Daueranspannung. ‘Blue’ war derart ‘zusammengeschraubt’, er wusste kaum, was vorwärts laufen ist. Beim Ausreiten holperte er in einem antrainierten Zeitlupengalopp daher und ich musste ihm das Vorwärtsgehen richtig beibringen. Ich besuchte dann Dressur-Stunden mit ihm, bot ihm mental etwas für ihn Neues, war auf der Rennbahn, im Jura und auf Military-Strecken. Diese Abwechslung hat bei ihm einen grossen Knopf im Kopf aufgelöst».

Vom Nein-Sager zum Reitschulpferd

Sandra Remund hat ‘Blue’ lange nur unterschwellig geritten, ihn nie an Limits gebracht um den Punkt nicht erreichen, wo er komplett austickt. Aber der Grat war manchmal schmal und die Ausbildnerin erinnert sich an eine Situation beim Baden im Murtensee. ‘Blue’ hasste Wasser und wollte partout nicht rein. Aber die Trainerin blieb konsequent, obwohl er versuchte, weg zu galoppieren und mehrmals stieg: «Ich sah nur noch Hufe und wir haben Stunden dort verbracht. Mit Schützenhilfe einer Kollegin und anderen Pferden klappte es dann und die Episode am See war die einzige dieser Art». Eine grosse Herausforderung bildete dann noch der Galoppwechsel. ‘Blue’ blockierte und wusste nicht, was von ihm verlangt wird: «Schlussendlich habe ich aus der Galopp-Pirouette hinaus gewechselt. Keine alltägliche Vorgehensweise, aber er brauchte einfach einen anderen Weg, um es zu lernen. Aber vor allem habe ich viel von ‘Blue’ gelernt. Er lehrte mich, über den Tellerrand zu schauen und neue Wege auszuprobieren». Mit ‘Blue’ hat Sandra Remund erfolgreich Turniere bestritten in den verschiedensten Disziplinen und heute läuft er mit Kindern in der Reitstunde, ist vertrauensvoll und sehr gutmütig.

Ein Beisser mit Traumata

Das erste ‘schwierige’ Pferd von Sandra Remund war ein Painthorse, das eigentlich zum Schlachter gehen sollte. Stieg jemand auf, biss er ins Reiterbein, reagierte extrem negativ auf Männer und war nicht vom Stall wegzureiten: «Dieses Pferd hatte derartig schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, dass ich kaum in seine Boxe konnte. Ich stand und sass alle paar Stunden mal bei ihm in der Boxe und sonst passierte erst mal gar nichts Anderes, denn für ihn war nur schon meine Anwesenheit schlimm». Sandra Remund festigte das Vertrauen mit viel Bodenarbeit, fing bei Null an. Aber vom Haus wegreiten war wirklich unmöglich: «Vorwärts ging es, nachdem eine Kinesiologin sein traumatisches Erlebnis mit Ziegen hinter dem Haus etwas lösen konnte. Jeden Tag konnten wir zehn Meter weiter vom Haus weg, haben das mit viel Geduld gesteigert und ich brauchte etwa einen Monat, bis ich 500 Meter Entfernung zum Stall herstellen konnte beim Reiten. In der Gruppe gaben ihm andere Pferde Sicherheit und sie konnten ihn etwas gegen aussen abschirmen». Für Sandra Remund war von Anfang an klar, dass dieses Pferd speziell war, aber niemals von Grund auf böse, seine Augen waren lieb. Sein Misstrauen gegenüber dem Menschen blieb, wenn auch stark vermindert, bestehen und er zeigte deutlich, dass er ein Einmann-Pferd ist, welches eine Bezugsperson braucht: «Er war nicht das typische Reitschulpferd und ich hätte ihn niemals in dieses Schema reingepresst. Eine Reitbeteiligung übernahm den Wallach später und beide waren happy». Von diesem Painthorse hat Sandra Remund gelernt, dass man immer auf das einzelne Pferd und dessen spezifischen Charakter eingehen muss und keine fixen Vorgehensstrategien durchziehen kann. Es gilt, herauszufinden, was das Pferd braucht.

Blueberryblues

Mit Einfallsreichtum Desensibilisierung gestartet

Eine Freibergerstute namens ‘Lisa’ kann auch als ein Nein-Sager eingestuft werden: «Die Stute war bei mehreren Trainern in Ausbildung gewesen und das Durchbrennen war ihr Ding, egal ob auf dem Reitplatz oder im Gelände. Sie hatte panische Angst auf der rechten Seite, da konnte schon ein angehobener Ellenbogen des Reiters oder ein schlackernder Steigbügel reichen, damit sie unkontrolliert losgaloppierte». Für Sandra Remund war klar, dass so gar nicht daran zu denken war, überhaupt aufzusteigen. Sie bastelte aus Holz ein Konstrukt, dass ein festes Reiterbein simulieren sollte. ‘Lisa’ wurde zigmal mit diesem festen ‘Dummy’ als Handpferd mit ins Gelände genommen oder longiert und auf diese Weise immer mehr desensibilisiert. Mit der Zeit verlor die Stute die panische Angst vor allem, was sich auf der rechten Seite bewegte und Sandra Remund konnte bedenkenlos aufsteigen und reiten. «Die Freibergerdame ist noch heute in meinem Besitz und ein liebes und braves Reitschulpferd, macht einen fantastischen Job. Auch hier war eine Kinesiologin am Werk, welche annahm, dass beim Anreiten ein traumatisches Erlebnis mit einem Zaun oder etwas Ähnlichem passiert war.

Bewährte Symbiose von Training und Therapie

Sandra Remund ist überzeugt von der Arbeit, welche Pferdetherapeuten leisten. «Man sollte offen sein dieser Therapie-Art gegenüber, denn gerade tief verankerte Traumata bei Pferden können so allenfalls gelöst werden. Ich wäre mit diesen Neinsager-Pferden niemals so weitgekommen ohne therapeutische Unterstützung und ich schätze dieses wertvolle Zusammenspiel sehr», betont Sandra Remund, welche gerade die nicht einfachen Pferde als Herausforderung sieht: «Von ihnen kann ich mehr lernen und der Wunsch ist gross, diesen Pferden helfen zu können. Die Schwierigkeit besteht darin, alte und negative Erlebnisse aus dem Pferdehirn zu löschen und neue, positive Aspekte reinzubringen. Eine grosse Arbeit, die sich jedoch lohnt. Pferde vermenschlichen geht gar nicht in meinen Augen. Es sind Tiere, die arbeiten wollen und Arbeit tut ihnen gut. Arbeit bedeutet aber auch lernen oder müssen und ein Herauskommen aus der Komfortzone. Ich finde es wichtig, ein Pferd nicht zum Austicken zu bringen und diesen ‘Point of no return’ nicht herauszufordern». Angst sei ein schlechter Begleiter, meint Sandra Remund, welche sich bewusst ist, dass manche Situationen heikel waren. Aber gesunder Menschenverstand und ein realistisches Betrachten von aussen sind wichtig: «Diese drei Pferde haben alle ihre Geschichte erlebt, wären über kurz oder lang beim Metzger gelandet und ich denke, sie sind dankbar. Ich habe durch sie gelernt, verschiedene Wege zu gehen. Wenn etwas nicht geht, das Nächste zu probieren und vor allem nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen».

Sandra Remund

Bildquellen: Karin Rohrer, Sascha Stoll, privat zVg.

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